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Südwärts!

Wenn der Herbst in Zürich langsam das Licht frisst, wenn Regen aus grauen Wolken prasselt und die OL-Schuhe noch nach den letzten Saisonrennen riechen, dann zieht es eine kleine, aber feine Truppe unerschrockener Orientierungsläufer gen Süden. Ein Pilgerzug aus Badehosen, Plastiktaschen und grenzenlosem Optimismus. Auf der Suche nach Wärme, Wein und vielleicht einem letzten Hauch Wettkampfglorie. Was folgt, ist kein gewöhnlicher Ferienbericht. Es ist ein Protokoll von Siegen und Katerstimmungen, von Beachsoccer und Passabenteuern, von Pizza in übermütigen Mengen und Laufkilometern, die nur durch Risotto und Panettone überlebt wurden.


Wir reisten in zwei Autos und mit einer Mission: gute Stories, gute Platzierungen und noch bessere Abende. Wo unser Weg uns hinführte? Durch Nacht-OLs ohne Lampen, über verschneite Alpenpässe, ins Elitefeld in Cortona und schliesslich an die toskanische Küste, wo die Saison endete und das süsse Nichtstun begann.


Dies ist die Chronik einer Woche, in der wir mehr lachten als schliefen, mehr Pasta assen als Öl im Tank hatten und mehr Wein gewannen als wir eigentlich verdient hätten. Eine Ode an Freundschaft, Ausdauer; und an das unvergleichliche Gefühl, im Oktober nochmal Sommer zu finden.



Freitag, 26.10., verfasst von Gratian (Auto Nr. 1)


Der Start war dieses Jahr ein Roadtrip: Zu viert fuhren wir fast non-stop und abenteuerlich von Horgen nach Castiglion Fiorentino, wo Stefan bereits top fit wartete. Niemand weiss, wie er nur mit dem ÖV in dieses Dorf gefunden hat. Nach einer kleinen Panetone-Pause folgte der erste Härtetest: ein Nacht-Score-OL mit extra strengen Regeln fürs uns – keine Lampe, prospektives Laufen bis zur nächsten Lichtquelle wurde gratis mittrainiert. Die Mühe lohnte sich sofort: Wir feierten einen grandiosen 3-fach Sieg! Zur Belohnung gab es Pizza Nummer zwei und die ersten 5 Weinflaschen für den gelassenen Abend, welcher in diesem Bericht hoffentlich noch genauer analysiert wird, wurden gesichert. Zum Abschluss begrüssten wir unseren supernetten Gastgeber in den Weinbergen. Am nächsten Morgen kam die Bäckerei bei uns persönlich vorbei. Zum Zürcher Espresso-Preis konnten wir diverse Leckereien erwerben und diese, während wir den ersten Lauf in Sölden auf dem Laptop verfolgten, geniessen.



Freitag, 26.10., verfasst von Leander (Auto Nr. 2)


Beladen nur mit Badehose und Sommergarnitur fühlt man sich bei der Abfahrt beinahe nackt...

Auto Nr. 2.
Auto Nr. 2.

Wie bereits letztes Jahr bahnte sich diesen Herbst eine Hand voll junge, durchtrainierte und OL liebende Toskanafanatiker ihren Weg ins Glück.

Wenn Ende Oktober in Zürich die Tage immer kürzer werden und die Sonne kaum noch gegen das drückende Grau ankommt wird es Zeit die Koffer zu packen und seiner Seele einen Ausbruch aus der so trostlosen, unerträglichen Monotonie zu schenken. Beladen nur mit Badehose und Sommergarnitur fühlt man sich bei der Abfahrt beinahe nackt, Kilometer um Kilometer leuchtet einem die Richtigkeit der eingepackten Kleider aber ein.


Wobei Laurin und mir erstmals ein Hauch Winterstimmung blüht. Die Uhr zeigt bereits etwas nach neun, wir lassen gerade Luzern hinter uns, da schlägt Google Maps die sehr panoramareiche - für Touristen sicher lohnenswerte - Passroute über Oberalp und Lukmanier vor. Überheblich und selbstsicher lachen wir erstmal, müssen dann aber einsehen, dass Google mehr weiss. Ein Unfall im Tunnel und Bauarbeiten an der Gotthardpassstrasse lassen keinen anderen fahrbaren Weg in den Süden. Aufhalten kann uns die Verkehrssituation aber keinesfalls, das Hotel auf der Raststätte A50-6.5 ist gebucht und die morgige Startzeit steht schwarz auf weiss.



Samstag, 27.10., verfasst von Leander


Keine fünf Stunden nach einchecken wünschen wir dem Portier einen guten Morgen und plündern das Frühstücksbuffet. Mit Akku-Edging und kurzer Pause schaffen wir auch die letzten vier Stunden Fahrt und stehen pünktlich in Cortona bereit. Bereit uns dem italienischen Elitefeld zu stellen. Bereit an die Erfolge des Vorjahres anzuknüpfen.


Stefan überzeugte nicht nur mit seinen Leistungen, sondern auch mit seinem unkonventionellen Erscheinungsbild (Sporting-Shirt war vom Bruder Silvan entwendet).
Stefan überzeugte nicht nur mit seinen Leistungen, sondern auch mit seinem unkonventionellen Erscheinungsbild (Sporting-Shirt war vom Bruder Silvan entwendet).

Die höchsten Erwartungen gebühren Stefan. Jenem fast Mann, dem Leichtgepäck nicht nur Stil, sondern Lebensphilosophie ist – angereist bloss mit zwei Einweg-Plastiktaschen und grenzenlosem Selbstvertrauen. Ein Mate und kurz einlaufen reichen ihm, um jeglichen Hatern die Argumente zu nehmen. Bloss von Weltcup Läufer Francesco Mariani muss er sich geschlagen geben. Co-Star David komplettiert als dritter das Podest und macht den Weingewinn perfekt.



Der Einkauf auf dem Weg zur Unterkunft gerät weniger zur logistischen Meisterleistung als zum emotionalen Ausnahmezustand. Am Schluss findet dann doch alles Nötige in den Einkaufswagen, und dem Kocherfolg steht nichts mehr im Wege. Bei einem Glas des gewonnenen Weins schmecken die Spaghetti nach Triumph und lassen die italienische Authentizität durch unsere Adern fliessen. Wir sind angekommen!



Sonntag, 26.10., verfasst von David


Das Ziel vom Sonntag war eigentlich klar: noch mehr Flaschen Wein gewinnen. Dafür mussten wir am Finale der Coppa Italia nochmals richtig performen. Der Wettkampf war eine Mitteldistanz in absolutem Traumgelände. Ein schnell belaufbarer Buchenwald mit einigen technischen Stellen.



Unsere Perfomances waren dann auch stark genug, so dass wir den zweiten, dritten und fünften Platz belegten. Nur leider gab es keinen Wein diesmal, sondern grosse Zimmerpflanzen, was natürlich auch schön ist, aber den Abend nicht direkt aufwertet.



Darauf ging es auf jeden Fall endlich ans Meer, wo wir mit einem nächtlichen Wellenbad und einem Pizza-Ausflug ins nächstgelegene Städtchen unsere entspannten Ferientage starteten.


Angeregte Diskussion über die notwendigen Einkäufe nach der enttäuschenden Ausbeute bei der Siegerehrung (Stefan im Lead).
Angeregte Diskussion über die notwendigen Einkäufe nach der enttäuschenden Ausbeute bei der Siegerehrung (Stefan im Lead).


Montag, 27.10., verfasst von Jan


Als wir verschlafen aus unseren Bungalows krochen, fanden wir uns vor einer unverhofften Kulisse wieder. Doch es war nicht das Meer, das uns entgegenstrahlte. Nein, es war der halbnackte Leander, der ausgestreckt auf einem Liegestuhl lag. Leander ist nämlich ein Mann von Prinzipien. In der Nacht von gestern auf heute war die Zeitumstellung und Leander nervt sich darüber, dass durch den neuen Tagesrhythmus Tageslicht schlafend verschwendet wird. Er hat sich entschieden, früh aufzustehen und bereits den ersten UV mitzunehmen.


Wenn Sie, lieber Leser, der Meinung sind, dass sich Leander gefälligst um wichtigeres sorgen soll, dann haben sie wohl Recht. Doch man muss den Kontext berücksichtige: In den vergangenen drei Tage haben wir die letzten Wettkämpfe der Saison bestritten. Nun war das OL-Jahr endgültig vorbei. Was hatten wir schon zu tun? Keine harten Trainings warteten, kein nervöses Kartenstudium stand an und keine aufgeregte Vorfreude baute sich auf. Wir langweilten uns also, könnte man meinen. Diese Annahme könnte jedoch falscher nicht sein.


Halbnackter Leander (Symbolbild).
Halbnackter Leander (Symbolbild).

Um den Tag endgültig zu eröffnen, joggten wir gemütlich auf einen nahegelegenen Hügel mit Blick auf das grosse Blau. Wir rannten auch wieder herunter und die meisten schafften es unverletzt bis zum Camping zurück. Angekommen, stopften wir uns gewissenhaft mit Pasta voll. Nach einer Verdauungspause rief uns der Strand. Dort bauten wir uns zwei Fussballtore aus angeschwemmten Ästen auf.


Wenn schon kein OL anstand, mussten wir uns eben anders messen. Es folgte ein atemberaubende Runde Beachsoccer. Wir spielten 3 gegen 3 und das Spielen im weichen Sand war anstrengend. Wir schenken einander schliesslich nichts.

Nach der Fussballpartie folgten weitere super Aktivitäten am Strand. Zurück in den Bungalows kochten wir uns Risotto und gönnten uns einen lockeren Abend. Besonders unbeschwert drauf war Leander. Aber wie könnten wir es ihm übelnehmen, der Abschluss der Saison musste schliesslich gefeiert werden.


Die Küche war in ähnlich gutem Zustand wie Lukas.

Dienstag, 28.10., verfasst von Stefan

 

Wir erwachten aus einem Schlaf, der schlecht in Worte zu fassen ist. Das Zimmer roch nach abgestandener Luft, nach Vergnügen, das längst verflogen war. Einer nach dem anderen stolperte aus seinem Bett, bis auf Lukas, der absolute Spitzenreiter des gestrigen, nahezu hedonistischen, Abends. Die Küche war in ähnlich gutem Zustand wie er, der im Zimmer nebenan noch qualitativ hochwertigen Schlaf suchte. Zu Lachen gab es trotzdem genügend, denn mit Snapchat Memories lässt sich ein vergangener Abend ideal Revue passieren.


Der Kater schwand am Meer, nur der Durst blieb.

Diejenigen, die zuerst aufstanden, hatten das Glück, sich, auf Kosten anderer, einen Schluck Wasser zu ergattern. Leander kam leider zu spät, nicht einmal einen Tropfen Wein, der ihn doch gestern noch kreativ aufblühen und in überschwänglicher Selbstsicherheit schwelgen liess, fand er noch. Ansonsten dienten lediglich einige Cantuccini als Stärkung für den bevorstehenden Longrun. Der Präsident musste diesen leider weglassen, da er gestern gestürzt ist. Die beiden Zimmerberger, die gestern ebenfalls abgestürzt sind, haben ihre «Trainingspause» als Ausrede benutzt, diesen wegzulassen. Gratian fuhr die harten Jungs einige Kilometer die Küste aufwärts, von wo aus wir zurück zum Camping joggten. Dehydriert stürzten wir uns in die herbstliche italienische Sonne. Zu Beginn fühlten wir uns katastrophal, Dave sprach sogar davon, Mühe zu haben, seine Augen im Downhill offen zu behalten.


Spätestens am kilometerlangen Strand fühlten wir uns jedoch wieder frischer als je zuvor. Unseren Camping in Sichtdistanz, mussten wir zuerst über einen Zaun klettern und damit in einen anderen Campingplatz einbrechen, wo uns ein freundlicher Herr zum Tor begleitete, weil uns zuvor ein anderer äusserst freundlicher Herr nicht aus seinem Grundstück, auf dem wir uns wohlbemerkt bereits befanden, ausbrechen liess. Für vier Eidgenossen schwer zu verstehen. Zurück in unseren Häuschen gab es reichlich Wasser für die durstigen Krieger und die Pasta waren schon auf dem Herd. Dies war dem noch durstigeren Weinpionier von gestern Abend zu verdanken. Der Präsident und Jan, es gäbe kaum einen besseren Beifahrer für eine achtstündige Autofahrt, mussten nach dem Essen leider bereits abreisen.


Auch auf einem Trip heterosexueller Spätpubertierender ist Romantik garantiert.
Auch auf einem Trip heterosexueller Spätpubertierender ist Romantik garantiert.

Ein Loch graben. So gross es geht. Oder bis man ein österreichisches Kind verstecken kann.

Wir Verbliebenen machten uns auf den Weg an den Strand, wo wir uns zuerst hinlegten und die Sonne genossen. Dann folgte das, worum fünf junge Männer an einem Strand nur schwer herumkamen. Ein Loch zu graben. So gross es geht. Oder mindestens so gross, bis wir den jüngeren der beiden nebenan spielenden österreichischen Jungen in das Loch stellen konnten, ohne dass ihn seine Mutter sah. Mit dem Sand aus dem Loch bauten wir eine kleine Sandburg, die der ältere der beiden Tiroler unbedingt bombardieren musste. Daraufhin bombardierten wir seinen «Fliegerhorst» mindestens doppelt so fest und beendeten seine kriegerischen Fantasien.  Zuletzt gab es eine runde Fussball und dann ein romantischer letzter Schwumm im Meer, als die Sonne den Horizont küsste. Nur für uns gab es nichts zu küssen.


Abends gab es Pizza in derselben Pizzeria wie am Sonntagabend. Bewährtes soll man schliesslich nicht verbiegen.



Mittwoch, 29.10., verfasst von Lukas


Nach ereignisreichen Tagen in der Toskana ging es heute leider schon wieder zurück in die kalte Schweiz. Gestern Abend hatten einige noch angekündigt, einen kleinen Abschluss-DL am Strand zu machen – doch der Einzige, der sich wirklich früh aus dem Bett quälte, war David. Der Rest schlief seelenruhig weiter, bis David uns unsanft aus den Träumen riss. 9:20 zeigte meine Uhr, nach dem Erwachen. Um 10 Uhr sollte unsere Hütte abgabebereit sein – davon waren wir noch weit entfernt.


Die XXL-Margarita war ein Kampf. Aufgeben kam nicht in Frage.

Trotzdem liessen wir uns nicht stressen und schafften es auf die Minute genau. Wer zu schlecht putzt, bekommt nicht die ganze Kaution zurück, doch wie durch ein Wunder durfte sich unser Präsident über den vollen Betrag freuen.


Danach lagen unspektakuläre acht Stunden Autofahrt vor uns. Nur der Zwischenstopp in einer Pizzeria kurz vor Mailand ist erwähnenswert. Jeder bestellte sich eine Pizza nach seinem Gusto, und gemeinsam gönnten wir uns noch eine XXL-Margarita. Die Kellnerin lachte nur – sie war überzeugt, dass wir sie nie schaffen würden. Doch sie irrte sich: Unser Ehrgeiz war zu gross, um eine Niederlage zu akzeptieren, und wir kämpften bis zum letzten Bissen.


So gingen unsere wunderbaren Ferien zu Ende.


Bilder: zvg/privat

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